Europäischer Rat Juni 2015: Rede von David Cameron
Mitschrift der Rede bei der Pressekonferenz von Premierminister David Cameron beim Europäischen Rat, 26. Juni 2015.
[…] Ich hatte mir für diesen Gipfel drei klare Ziele vorgenommen: dafür zu sorgen, dass es für die Migrationskrise ein umfassendes Konzept gibt; auf raschere Fortschritte beim digitalen Binnenmarkt zu drängen, der so wichtig für die Wirtschaft und die Verbraucher in unserem Land ist; aber vor allem die Neuverhandlungen für Großbritannien auf den Weg zu bringen. Zu jedem Punkt möchte ich ein paar Worte sagen.
Erstens, zur Frage der Migration. Die Welle von Migranten, die über das Mittelmeer zu uns kommen, ist nicht nur ein Problem für die Länder an der Mittelmeerküste, sie ist ein Problem, das uns alle angeht. Viele von denen, die versuchen von Calais aus den Ärmelkanal zu überqueren, sind über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Deshalb müssen wir in Europa zusammen einen umfassenden Plan ausarbeiten, der bei den grundlegenden Ursachen dieses Problems ansetzt und den Zustrom eindämmt.
Nun hat Großbritannien schon eine führende Rolle gespielt; mit der HMS Bulwark und unseren anderen Schiffen der Border Force haben wir im Mittelmeer schon über 4000 Menschenleben gerettet. Wir sammeln Erkenntnisse, um Schleuserbanden das Handwerk zu legen, und haben 90 Polizeibeamte in Den Haag, Sizilien und afrikanischen Ländern im Einsatz. Wir nutzen unser Entwicklungshilfebudget und halten unsere Hilfszusagen ein. Mit unserem Entwicklungshilfebudget lindern wir die Folgen der Armut und der Konflikte und der Unsicherheit und des Versagens der Regierungsstrukturen in diesen Ländern – die Ursachen, aus denen die Menschen ihre Heimat überhaupt verlassen.
Hier bei diesem Gipfel wurde lang und manchmal ziemlich hitzig darüber debattiert, wie die Länder mit der großen Zahl von Migranten umgehen, die schon hier sind. Großbritannien hat deutlich gesagt, dass wir uns an einem System zur Umverteilung von hier angekommenen Migranten auf andere europäische Länder nicht beteiligen werden. Aber das heißt nicht, dass wir nicht unseren Beitrag leisten würden. Wir leisten unseren Beitrag. Großbritannien kann sich international sehen lassen, nicht nur wegen der Hilfsgelder, die wir in afrikanischen Ländern ausgeben, nicht nur, weil wir die zweitgrößte Summe an bilateraler Hilfe für die Not leidende syrische Bevölkerung bereitstellen; und ja, wir beteiligen uns am Programm zur Umsiedlung der schutzbedürftigsten Flüchtlinge, holen sie aus den Flüchtlingslagern und von anderswoher, um ihnen ein besseres Leben hier in Großbritannien zu ermöglichen – das habe ich letzte Woche in Bratislava bekannt gegeben.
Aber wir glauben, dass die Umverteilungsprogramme für Migranten, die schon hier sind, kontraproduktiv sein könnten, und wir verfolgen hier eine sehr konsequente Linie. Andere haben sich dafür entschieden, aber wir sind in keiner Weise verpflichtet, es ihnen gleichzutun, eben wegen unseres Opt-outs im Bereich Justiz und Inneres. Und das ist übrigens wieder einmal ein Beweis für die Bedeutung solcher Opt-outs. Großbritannien kann auf diese Weise nämlich seine nationalen Interessen schützen und seine Anstrengungen auf diejenigen Aspekte richten, die am wichtigsten sind, nämlich, die Migranten von vornherein daran zu hindern, sich auf den Weg nach Europa zu machen.
Wir müssen also das Geschäftsmodell der Schleuser zunichte machen, die Chance, auf ein Boot zu gelangen, von der Chance, nach Großbritannien einreisen zu können, abkoppeln, mit den Ländern zusammenarbeiten, aus denen diese Menschen gekommen sind, und dafür sorgen, dass sie später zurückgebracht werden können. Darin sehe ich die Lösung, und nicht in solchen Umverteilungsprogrammen, die meiner Meinung nach kontraproduktiv sein könnten.
Zweitens, der digitale Binnenmarkt. Er ist ein Paradebeispiel dafür, dass wir die EU brauchen, um das Potenzial dieses Marktes zum Vorteil der Unternehmer wie der Verbraucher in ganz Europa zu realisieren. Dies ist ein Markt, der unseren Volkswirtschaften €450 Mrd. einbringen könnte. Großbritannien hat diese Debatte vorangetrieben, Anfang des Jahres Ideen vorgelegt, die die Europäische Kommission jetzt in ihre Vorschläge eingearbeitet hat. Hier auf diesem Gipfel war es mir wichtig, auf schnellere und ambitioniertere Fortschritte zu drängen. Wir haben vereinbart, dass wir das Problem der Marktfragmentierung angehen, in die Infrastruktur investieren, die richtigen Voraussetzungen schaffen, damit dieser Markt boomt. Und wenn wir ein Abkommen über die Roaminggebühren verabschieden können, könnte das zu niedrigeren Handy-Rechnungen bei Auslandsreisen führen.
Es wird oft gefragt: ‘Beschließt ihr auf diesen Gipfeltreffen eigentlich Dinge, die für die Menschen zu Hause unmittelbar relevant sind?’ Wenn wir das Thema Roaminggebühren in den Griff bekommen, müssen Leute, die geschäftlich oder als Touristen auf das Festland reisen, weniger für ihre Mobiltelefongespräche zahlen – und hier führt Großbritannien das Feld an, wie immer bei solchen praktischen Dingen, die wirklich einen Unterschied machen. Unsere Digitalwirtschaft ist – von der TechCity in London bis hin zu dem international führenden Robotik-Cluster in Bristol – schon jetzt Vorreiter in Europa, und der heutige Beschluss wird den Weg ebnen, damit sie sich weiterentwickeln kann und noch weniger Hürden vorfindet.
Und schließlich, die Neuverhandlungen über Großbritanniens Verhältnis zur Europäischen Union. Die Europäische Union muss sich verändern. Großbritanniens Verhältnis zur Europäischen Union muss sich verändern, und ich habe einen Plan, wie das ablaufen soll: Reform, Neuverhandlungen und Referendum. Bei der Reform der EU geht es schon voran. Wir haben den EU-Haushalt gekürzt, wir haben die EU-Bürokratie abgebaut, wir kommen bei der Vollendung des Binnenmarkts weiter, aber das ist nicht genug. Wir brauchen substanziellere Reformen in vier Bereichen: Souveränität, Fairness, Wettbewerbsfähigkeit und Zuwanderung.
Erstens, was die Souveränität anbelangt, finden die Menschen in Großbritannien zu Recht, dass sich die EU zu sehr einmischt, dass zu viele Beschlüsse zu weit von ihnen entfernt gefasst werden, und dass eines absolut feststeht: Sie und ich wollen nicht Teil einer immer engeren Union sein, sie wollen nicht in einen Staat namens Europa hineingezogen werden. Für andere mag das gehen, aber niemals für Großbritannien, und es ist Zeit, dass wir das definitiv anerkennen.
Zweitens, beim Thema Fairness, müssen wir im Zuge der weiteren Integration der Eurozone – und darüber wurde bei diesem Gipfel angesichts des Berichts der Fünf Präsidenten gesprochen – dafür sorgen, dass die Interessen der Euro-Länder und der Nicht-Euro-Länder fair und ausgewogen berücksichtigt werden. Das ist in vieler Hinsicht der Schlüssel zu dem, was ich erreichen will. Die EU muss flexibel genug sein, damit Staaten der Eurozone angehören und mit ihrer Mitgliedschaft zufrieden sein können, und Nicht-Euro-Länder ebenfalls finden können, dass ihre EU-Mitgliedschaft in ihrem Interesse liegt. Das ist die Lösung. Wir brauchen eine Regelung, die anerkennt, dass die gemeinsame Währung nicht alle betrifft, der Binnenmarkt und die Europäische Union als Ganzes aber für alle funktionieren müssen.
Drittens, beim Thema Zuwanderung, müssen wir die sozialen Anreize beseitigen, die so viele Menschen aus der ganzen EU dazu bewegen, Arbeit in Großbritannien zu suchen. Und schließlich müssen wir dazu noch erreichen, dass die EU zu einem Motor für Wachstum und Arbeitsplätze und Innovation und Erfolg wird, anstatt Stagnation zu erzeugen. Auf diesem Gipfel wollte ich vor allem die technischen Vorarbeiten für alle diese Punkte und die spezifischen Reformen, die wir uns hier wünschen, anstoßen, und wir haben vereinbart, dass ein solcher Prozess in Gang kommt und wir beim Europäischen Rat im Dezember erneut darauf zurückkommen werden.
Nun brauchen wir für diese Gespräche sicherlich Beharrlichkeit und Geduld; nicht alle Fragen lassen sich so einfach lösen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir dieses substanzielle Reformpaket durchbringen, zum Nutzen auf jeden Fall Großbritanniens, aber ich denke auch der EU insgesamt. Bei unserer EU-Mitgliedschaft würde wieder, wie früher, der gemeinsame Markt im Zentrum stehen. Wir würden aus der Tretmühle einer immer engeren Union herauskommen. Wir hätten das Problem der Zuwanderung nach Großbritannien aus der übrigen EU angepackt. Wir hätten Großbritanniens Platz im Binnenmarkt auf lange Sicht gesichert. Das wird nicht der Status quo sein. Wir werden Probleme gelöst haben, die so frustrierend für die britische Bevölkerung waren. Es wird eine neue, eine andere Mitgliedschaft sein, eine, die besser für Großbritannien und besser für Europa ist, eine Mitgliedschaft, die in unserem jetzigen nationalen Interesse liegt: ein Großbritannien in Europa, das aber nicht von Europa regiert wird.
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Letzte Aktualisierung am 29 June 2015 + show all updates
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Added transcript of questions and answers from press conference.
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First published.