Erklärung der Premierministerin zu den Salisbury-Ermittlungen: 5. September 2018
Erklärung von Premierministerin Theresa May am 5. September 2018 im Unterhaus zu den Salisbury-Ermittlungen.
Premierministerin Theresa May:
Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, möchte ich das Parlament über den Stand der Ermittlungen im Fall des versuchten Mordes an Sergej und Yulia Skripal sowie der Vergiftung von Dawn Sturgess und Charlie Rowley vor einigen Monaten informieren.
Bei dieser widerlichen und verabscheuungswürdigen Tat wurde mit einem hochgiftigen Nervenkampfstoff, bekannt als Nowitschok, ein Anschlag auf unser Land verübt. Vier Menschen kämpften um ihr Leben, eine unschuldige Frau starb. Die Gedanken des gesamten Parlaments sind besonders bei den Angehörigen von Dawn Sturgess, die diesen tragischen Verlust erlitten haben.
Im März habe ich dem Parlament erklärt, warum die Regierung zu dem Schluss gekommen ist, dass der russische Staat schuld am versuchten Mord von Herrn Skripal und seiner Tochter ist.
Ich habe auch gesagt, dass wir – so sehr wir auch eine gewisse Ungeduld verspüren, die Schuldigen vor Gericht gebracht zu sehen – als überzeugter Rechtsstaat dennoch der Polizei die Zeit und den Raum geben wollten, ihre Ermittlungen ordnungsgemäß durchzuführen.
Rund 250 Polizeibeamte haben seither über 11.000 Stunden Material von Überwachungskameras gesichtet und über 1.400 Aussagen zu Protokoll genommen.
Sie haben rund um die Uhr gearbeitet, um in mühevoller, systematischer Kleinarbeit herauszufinden, welche Personen genau dafür verantwortlich waren, und mit welchen Methoden sie diesen Anschlag ausgeführt haben.
Herr Präsident, die forensische Untersuchung hat jetzt genug Beweismaterial erbracht, damit die Generalstaatsanwältin Anklage gegen zwei russische Staatsangehörige erheben konnte wegen:
- der Verabredung zur Ermordung von Sergej Skripal;
- des versuchten Mordes an Sergej und Yulia Skripal und dem Polizisten Nick Bailey;
- des Besitzes und Einsatzes von Nowitschok; und
- der vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung an Yulia Skripal und Nick Bailey.
Heute Morgen hat die Polizei erklärt, welche Wege die beiden russischen Staatsangehörigen unter den Namen Alexander Petrow und Ruslan Boschirow – Namen, die die Polizei für Decknamen hält – zurückgelegt haben.
Sie kamen am Freitag, den 2. März um 15.00 Uhr mit Flug SU2588 aus Moskau auf dem Flughafen Gatwick an.
Sie fuhren zunächst mit dem Zug zum Bahnhof Victoria in London, dann weiter zum Bahnhof Waterloo. Danach gingen sie zum City Stay Hotel in der Bow Road in Ost-London.
Dort blieben sie sowohl am Freitag- wie auch am Samstagabend – und in ihrem Hotelzimmer wurden Spuren von Nowitschok gefunden.
Am Samstag, 3. März, fuhren sie nach Salisbury, sie kamen gegen 14.25 Uhr dort an und fuhren weniger als zwei Stunden später, um 16.10 Uhr, wieder ab. Die Polizei ist sich sicher, dass der Besuch dazu diente, das Stadtgebiet von Salisbury zu erkunden.
Am Sonntag, 4. März, unternahmen sie die gleiche Reise; sie fuhren um 08.05 Uhr mit der U-Bahn von Bow zum Bahnhof Waterloo und dann weiter mit dem Zug nach Salisbury.
Die Polizei hat heute Video-Material aus Überwachungskameras veröffentlicht, wonach sich die zwei Männer um 11.58 Uhr – das war laut Polizei kurz vor dem Anschlag – eindeutig in unmittelbarer Nähe zu Skripals Haus aufhielten.
Sie verließen Salisbury und fuhren zurück zum Bahnhof Waterloo, wo sie ca. 16.45 Uhr eintrafen, dann stiegen sie um ca. 18.30 Uhr in die U-Bahn nach Heathrow, von wo aus sie um 22.30 Uhr mit Flug SU2585 nach Moskau zurückflogen.
Herr Präsident, aufgrund dieser Faktenlage gelangte unsere unabhängige Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass ihr genug Material vorliegt, um gegen diese zwei Männer Anklage wegen des Anschlags in Salisbury erheben zu können.
Diese beiden Männer sind jetzt auch die Hauptverdächtigen im Fall Dawn Sturgess und Charlie Rowley.
Darüber hinaus gibt es keine anderen Untersuchungen.
Und die Polizei hat den Anschlag auf die Skripals heute formal mit den Vorkommnissen in Amesbury verknüpft, so dass dies jetzt eine einzige Ermittlung darstellt.
Hierfür gibt es gute Gründe.
Nach unserer eigenen Analyse sowie dem gestrigen Bericht der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen wurde in beiden Fällen genau der gleiche Nervenkampfstoff eingesetzt.
Es gibt keine Hinweise dafür, dass Dawn [Sturgess] und Charlie [Rowley] bewusst als Ziele ausgewählt wurden, sie wurden vielmehr Opfer einer achtlosen Entsorgung des Kampfstoffs.
Die Polizei hat heute weitere Einzelheiten zu der kleinen Parfumflasche mit Karton bekanntgegeben, die in Charlie Rowleys Haus gefunden wurde und in der der gleiche Nervenkampfstoff nachgewiesen wurde.
Und die Art, wie die Flasche präpariert wurde, lässt keinen Zweifel daran, dass sie als Tarnung diente, um die Waffe ins Land zu schmuggeln, und keinen Zweifel an der Methode der Verabreichung an der Haustür der Skripals.
Herr Präsident, die polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit der Vergiftung von Dawn [Sturgess] und Charlie [Rowley] laufen noch, und die Polizei hat heute noch einmal um Mithilfe gebeten. Aber wenn die beiden Verdächtigen unserer Gerichtsbarkeit unterstehen würden, könnten sie allein auf dieser Grundlage wegen Mordes festgenommen werden.
Herr Präsident, wir haben Russland wiederholt aufgefordert, eine Erklärung für den Vorfall im März in Salisbury abzugeben, und es hat mit Vernebelungstaktiken und Lügen reagiert.
So wurde die Schuld an diesem Anschlag Terroristen, unseren internationalen Partnern und selbst der zukünftigen Schwiegermutter von Yulia Skripal zugeschoben.
Russland hat sogar behauptet, ich selbst hätte den Nowitschok erfunden.
Seine Versuche, die Wahrheit durch eine Flut von Desinformationen zu verschleiern sind nur weitere Beweise für seine Schuld.
Wie wir im März klargestellt haben, verfügte nur Russland über die technischen Mittel, die operativen Erfahrungen und das Motiv für diesen Anschlag.
Nervenkampfstoffe vom Typ Nowitschok wurden von der Sowjetunion in den 1980er Jahren im Rahmen eines Programms mit dem Kodenamen FOLIANT entwickelt.
In den letzten 10 Jahren hat Russland kleine Mengen dieser Stoffe produziert und aufbewahrt, lange nachdem es die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet hatte.
Und in den 2000er Jahren begann Russland ein Programm zur Erprobung von Möglichkeiten zur Verabreichung von Nervenkampfstoffen, unter anderem durch Applikation an Türgriffen.
Wir hatten im März Recht mit unserer Aussage, dass der russische Staat verantwortlich war.
Und nachdem wir jetzt die beteiligten Personen identifiziert haben, können wir noch einen Schritt weiter gehen.
Herr Präsident, die polizeilichen Ermittlungen haben es also der Staatsanwaltschaft ermöglicht, Anklage gegen die beiden Verdächtigen zu erheben, gleichzeitig haben aber auch die Sicherheits- und Nachrichtendienste eigene Recherchen über die Organisation hinter diesem Anschlag angestellt.
Nach diesen Untersuchungen kann ich dem Parlament heute mitteilen, dass die Regierung aufgrund einer Reihe nachrichtendienstlicher Erkenntnisse zu der Überzeugung gelangt ist, dass es sich bei den beiden Personen, die von der Polizei und der Staatsanwaltschaft benannt wurden, um Beamte des auch als GRU bekannten russischen militärischen Nachrichtendiensts handelt.
Die GRU ist eine überaus disziplinierte Organisation mit einer klar geregelten Befehlskette.
Dies war also keine Aktion von Einzeltätern. Mit großer Sicherheit wurde sie auch außerhalb der GRU von hohen Vertretern des russischen Staats gebilligt.
Herr Präsident, das Parlament wird Verständnis dafür haben, dass ich hinsichtlich der Arbeit unserer Sicherheits- und Nachrichtenbehörden nicht ins Detail gehen kann. Aber wir werden führende Vertreter der Opposition und andere zu den im Privy Council geltenden Bedingungen unterrichten und auch dem Intelligence and Security Committee ausführlichere Informationen bereitstellen.
Lassen Sie mich nun auf unsere Antwort auf diesen entsetzlichen Anschlag und die Erkenntnisse, die wir inzwischen über die Schuldigen haben, zu sprechen kommen.
Erstens haben wir, wie die Staatsanwaltschaft und die Polizei heute bekannt gegeben haben, einen Europäischen Haftbefehl für die beiden Personen erwirkt und werden demnächst bei Interpol eine „Red Notice“ ausgeben.
Natürlich hat sich Russland wiederholt geweigert zuzulassen, dass seine Staatsbürger vor ein ausländisches Gericht gestellt werden, und dabei auf ein Verbot der Auslieferung in seiner Verfassung verwiesen.
Wie wir nach dem Mord an Alexander Litwinenko festgestellt haben, wäre ein offizielles Auslieferungsersuchen in diesem Fall also zwecklos.
Aber falls eine dieser Personen je wieder außerhalb Russlands unterwegs sein sollte, werden wir jede mögliche Maßnahme ergreifen, um sie festzunehmen, ausliefern zu lassen und hier im Vereinigten Königreich vor Gericht zu stellen.
Herr Präsident, dieser Anschlag mit Chemiewaffen auf unserem Boden ist Teil eines Verhaltensmusters, mit dem Russland konsequent versucht, unsere Sicherheit und die unserer Verbündeten in aller Welt zu unterminieren.
Russland hat den Konflikt im Donbass geschürt, illegal die Krim annektiert, wiederholt den nationalen Luftraum mehrerer europäischer Länder verletzt und eine langfristige Kampagne zur Cyber-Spionage und Einmischung in Wahlen gestartet.
Es stand hinter einem gewaltsamen Putschversuch in Montenegro. Und eine in Russland hergestellte Rakete, abgefeuert aus einem Gebiet, das von russisch unterstützten Separatisten beherrscht wird, brachte die MH17 zum Absturz.
Wir müssen unsere kollektiven Anstrengungen zum Schutz gegen diese Bedrohung verstärken, und genau das haben wir seit dem Anschlag im März getan, sowohl im eigenen Land wie auch kollektiv mit unseren Verbündeten.
Wir haben eine neue Rechtsgrundlage geschaffen, auf der Personen jetzt an der Grenze festgehalten werden können, um festzustellen, ob sie an feindlichen staatlichen Aktivitäten beteiligt sind.
Als Reaktion auf die Verletzung der Menschenrechte haben wir das Gesetz über Sanktionen und Geldwäsche durch das Magnitsky Amendment ergänzt. Und wir haben unsere Aktivitäten, mit denen verhindert werden soll, dass illegale Gelder in unser Land kommen, radikal verstärkt.
Außerdem haben wir 23 russische Diplomaten ausgewiesen, die als nicht angemeldete russische Geheimdienstmitarbeiter identifiziert worden waren, womit wir die nachrichtendienstlichen Fähigkeiten Russlands in Großbritannien auf Jahre hinaus massiv geschwächt haben.
Und in kollektiver Solidarität – sowie in Anerkennung der gemeinsamen Gefahr, der unsere Verbündeten ausgesetzt sind – haben 28 andere Länder und auch die NATO sich uns angeschlossen und insgesamt über 150 russische Geheimdienstmitarbeiter ausgewiesen – die größte kollektive Ausweisung aller Zeiten.
Seitdem hat die EU ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Abwehr hybrider Bedrohungen beschlossen.
Die G7 hat vereinbart, ein neues Abwehrsystem aufzubauen, den „Rapid Response Mechanism“, um nachrichtendienstliche Erkenntnisse über feindliche staatliche Aktivitäten auszutauschen.
Die NATO hat ihre kollektive Abschreckung deutlich verstärkt, u.a. durch ein neues Cyber Operations Centre.
Und die USA haben wegen des Anschlags in Salisbury weitere Sanktionen gegen Russland angekündigt.
Herr Präsident, unsere Verbündeten haben in gutem Glauben gehandelt – und die gründliche Arbeit unserer Polizei- und Nachrichtendienste in den vergangenen sechs Monaten hat bestätigt, dass sie damit im Recht waren.
Gemeinsam werden wir auch weiter zeigen, dass diejenigen, die das regelbasierte internationale System zu untergraben versuchen, nicht ungestraft davonkommen.
Wir werden weiter darauf drängen, dass alle bisher vereinbarten Maßnahmen voll und ganz umgesetzt werden, darunter auch die Schaffung eines neuen Chemiewaffen-Sanktionssystems der EU.
Aber wir gehen noch weiter.
Wir werden auf neue EU-Sanktionen gegen die für Cyberangriffe und schwere Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen drängen – und auf weitere Eintragungen in die bestehenden Sanktionslisten gegen Russland.
Und wir werden gemeinsam mit unseren Partnern darauf hinarbeiten, dass die OPCW die Befugnis erhält, bei Chemiewaffenangriffen auch andere Staaten als Syrien als Verantwortliche zu benennen.
Das Wichtigste, Herr Präsident, was wir aus der heutigen Verlautbarung erfahren haben, ist die spezifische Art der Gefahr, die von der russischen GRU ausgeht.
Wir wissen, dass die GRU in den letzten Jahren bei bösartigen russischen Aktivitäten eine zentrale Rolle gespielt hat.
Und heute haben wir ihre Rolle hinter dem verabscheuungswürdigen Chemiewaffenangriff auf den Straßen von Salisbury aufgedeckt.
Die Aktionen der GRU sind eine Gefahr für alle unsere Verbündeten und für alle unsere Bürger.
Und auf der Grundlage dessen, was wir bei den Salisbury-Ermittlungen herausgefunden haben – und was wir ansonsten über diese Organisation wissen – müssen wir jetzt unsere kollektiven Anstrengungen speziell gegen die GRU verstärken.
Wir tragen weiter Erkenntnisse darüber zusammen, was die GRU in unseren Ländern treibt, bringen ihre Aktivitäten ans Tageslicht, decken ihre Methoden auf und teilen dieses Wissen mit unseren Verbündeten, genau wie wir es im Fall Salisbury getan haben.
Herr Präsident, ich kann zwar hier nicht auf Einzelheiten eingehen, wofür das Parlament sicher Verständnis hat, aber wir werden gemeinsam mit unseren Verbündeten das gesamte Spektrum an Instrumenten einsetzen, die unserem nationalen Sicherheitsapparat zur Verfügung stehen, um der Bedrohung durch die GRU zu begegnen.
Ich habe schon früher gesagt und wiederhole es jetzt noch einmal: das Vereinigte Königreich liegt nicht im Streit mit dem russischen Volk.
Und wir lassen auch die Hoffnung nicht sinken, dass wir eines Tages wieder eine starke Partnerschaft mit dieser großen Nation haben werden.
Im UN-Sicherheitsrat werden wir Russland als ständiges Mitglied weiter mit einbeziehen, wenn es um internationale Friedens- und Sicherheitsfragen geht.
Aber wir werden diese Kommunikationskanäle auch weiter nutzen um klarzustellen, dass es in einer zivilisierten Weltordnung keinen Raum für solche barbarischen Akte geben kann, wie wir sie im März in Salisbury erlebt haben.
Zum Schluss, Herr Präsident, möchte ich der Bevölkerung von Salisbury, Amesbury und Umgebung, die in den vergangenen sechs Monaten in ihrem täglichen Leben so stark beeinträchtigt worden sind, meine Anerkennung für ihre Tapferkeit zollen.
Lassen Sie mich auch den Rettungsdiensten und dem Nationalen Gesundheitsdienst noch einmal für ihren hervorragenden Einsatz bei diesen Vorfällen danken.
Und ich möchte auch allen beteiligten Polizei- und Nachrichtendienstmitarbeitern für ihre unermüdliche und sorgfältige Arbeit danken, die zu den heutigen Ergebnissen geführt hat.
Herr Präsident, im März versuchte Russland, Zweifel und Ungewissheit bezüglich des Beweismaterials, das wir dem Parlament vorgelegt haben, zu verbreiten – und manche waren bereit, ihnen zu glauben.
Die heute bekanntgegebenen Ergebnisse zeigen, dass wir Recht hatten.
Wir haben recht daran getan, gegen den russischen Staat so vorzugehen, wie wir es getan haben. Und wir tun jetzt recht daran, unsere Anstrengungen gegen die GRU zu verstärken.
Derartige barbarische Aktionen gegen unser Land werden wir nicht tolerieren.
Und diese Regierung wird - gemeinsam mit unseren Verbündeten - auch weiterhin alles tun, was nötig ist, um für die Sicherheit unserer Bürger zu sorgen.
Und ich empfehle dem Parlament diese Erklärung.